Als Doug Christie vor dem Auswärtsspiel in Minnesota seine neue Starting Five präsentierte, war die Botschaft klar: Russell Westbrook beginnt, Dennis Schröder kommt von der Bank.
Für viele klingt das nach Degradierung. Für Schröder ist es, wenn man seine NBA-Karriere aufmerksam verfolgt hat, fast schon eine Rückkehr in seine natürliche Umgebung.
Die Kings hatten sich Dennis Schröder im Sommer per Sign-and-Trade aus Detroit geholt, drei Jahre und knapp 45 Millionen Dollar, gedacht als kurzfristige Antwort auf das Loch auf der Point-Guard-Position nach der Fox-Ära und als Strukturhilfe für ein ansonsten recht wild zusammengestelltes Team. Nach wenigen Wochen der Saison 2025/26 fällt die Bilanz allerdings ernüchternd aus. Sacramento kommt schlecht aus den Startlöchern, die Offense wirkt oft zäh, die Hierarchien sind unsauber. In den ersten zwölf Spielen legt Schröder im Kings-Trikot im Schnitt rund 11,3 Punkte, 3,3 Rebounds und 6 Assists auf; ordentliche Playmaker-Zahlen, aber bei schwachen Quoten von etwa 38 Prozent aus dem Feld und 30 Prozent von der Dreierlinie.
Gleichzeitig erlebt Russell Westbrook in Sacramento eine Art Spätkarriere-Renaissance. Der Ex-MVP liefert im Kings-Trikot im Schnitt um die 15 Punkte, 6 Assists und 5 Rebounds, mit überraschend guter Wurfquote, knapp unter 50 Prozent aus dem Feld und Mitte 40 Prozent von der Dreierlinie. Dazu kommen Auftritte, in denen er defensiv, auf dem Drive und als emotionaler Taktgeber deutlich mehr Präsenz zeigt als man ihm nach den schwierigen Jahren in Los Angeles oder der Nebenrolle in Denver vielleicht noch zugetraut hätte.
Wenn ein 36-Jähriger in dieser Form spielt, während der eigentliche Starter offensiv nicht richtig ins Rollen kommt, ist die Entscheidung des Coaching Staffs fast zwangsläufig: Westbrook in die erste Fünf, Schröder in die zweite Unit. Die Kings haben das inzwischen offiziell so angelegt. Westbrook als Starter, Schröder als Backup-Point-Guard, wie auch die aktuelle Depth Chart zeigt.
Wer diese Entscheidung nur als Abstieg liest, blendet allerdings aus, wie Schröder überhaupt zu dem Spieler wurde, der heute Weltmeister, Europameister und MVP beider Turniere ist.
Schon in Atlanta war seine Rolle als Energizer von der Bank ein entscheidender Faktor. In der 60-Siege-Saison 2014/15 kam er hinter Jeff Teague von der Bank, führte die zweite Unit, griff Spiele mit seiner Aggressivität im Pick-and-Roll an und stand in manchen Crunchtime-Lineups auf dem Parkett, wenn Budenholzer mehr Druck auf den Korb brauchte.
Den Höhepunkt dieser Bankversion erlebte Schröder in Oklahoma City. 2019/20 bildete er mit Chris Paul und Shai Gilgeous-Alexander eines der interessantesten Guard-Trios der Liga, führte die Thunder als Sixth Man quasi im Alleingang in etlichen Spielen zurück und legte ligaweit die meisten Punkte von der Bank auf. Am Ende wurde er Zweiter beim Voting zum Sixth Man of the Year hinter Montrezl Harrell. Gerade in dieser Rolle konnte Schröder seine Stärken ausspielen.
Als frische Kraft gegen Second Units wirkt seine erste Schritt Explosivität noch brutaler. Ebenfalls lebt davon, immer wieder in Lücken zu stoßen, Fouls zu ziehen, das Spiel vertikal zu machen. Als Bank-Guard muss er nicht permanent den Ball dominieren. Er kann neben einem zweiten Playmaker spielen, als Off-Ball-Cutter agieren oder in Small-Ball-Lineups defensiv Druck auf den Point of Attack ausüben. Kurz gesagt: Schröder war immer dann am besten, wenn er das Spiel verändern und nicht von Beginn an verwalten sollte. In Sacramento ist die Konstellation wie gemalt für genau diesen Typ Spieler.
Die erste Fünf mit Westbrook, DeMar DeRozan, Zach LaVine und Domantas Sabonis braucht in erster Linie jemanden, der den Ball schnell nach vorn bringt, den Korb attackiert und die Stars in Szene setzt. Westbrook macht das aktuell schlicht besser als Schröder; physischer, konsequenter, mit mehr Rim Pressure und momentan besserer Effizienz. Wenn Schröder dafür in die zweite Unit rutscht, bekommt er andere Aufgaben. Mehr On-Ball-Repititionen ohne LaVine/DeRozan neben sich, mehr Pick-and-Roll mit Bigs, mehr Possessions, in denen er das Tempo komplett selbst diktiert.
Zudem hat er einfachere Matchups und mehr Rhythmus. Gegen gegnerische Starter sah man zuletzt, wie schmal die Fehlertoleranz ist. Eine schwache Shooting-Nacht, wie seine punktlose Partie bei der Niederlage gegen Denver, und der Druck wächst sofort, in einer ohnehin wackeligen Kings-Saison.
Als Leader der Bank trifft Schröder häufiger auf gegnerische Ersatz-Guards, die defensiv nicht auf All-Defense-Niveau sind. Genau dort war er in OKC und Atlanta besonders gefährlich.
In der NBA ist „Starter“ ein prestigeträchtiger Titel, aber entscheidend ist, wer in den letzten fünf Minuten auf dem Parkett steht. Wenn Schröder in seiner Bankrolle überzeugt, kann Doug Christie je nach Matchup problemlos mit einer kleinen Closing-Lineup aus Westbrook, Schröder, LaVine, DeRozan und Sabonis finishen. Da geht es dann nicht mehr darum, wer offiziell startet, sondern wer genug Trust aufgebaut hat, um Spiele zuzumachen. Schröder hat in seiner Karriere oft gezeigt, dass er genau in dieser Phase aufdrehen kann; sein Spitzname „Second Half Schröder“ in Oklahoma kam nicht von ungefähr.
So sehr diese neue Rolle sportlich Sinn ergibt, so ehrlich muss man auch über die andere Seite sprechen: Schröders Zukunft in Sacramento ist alles andere als in Stein gemeißelt. Die Kings haben ihn zwar für drei Jahre gebunden, sein Vertrag ist aber so strukturiert, dass er aus Front-Office-Sicht extrem flexibel bleibt. Schröder ist ab dem 15. Dezember 2025 überhaupt erst tradebar, Danach aber als mittelgroßes Gehalt ideal, um größere Deals finanziell möglich zu machen.
Schon rund um seinen Wechsel nach Sacramento wurde in US-Medien immer wieder betont, dass er die Kings kurzfristig stabilisieren soll, man sich aber zugleich bewusst zusätzliche „Beweglichkeit“ für spätere Moves ins Cap-Sheet geholt hat.
Auch frühere Trade-Kandidaten-Listen führten Schröder bereits als Spieler, den Teams durchaus weiterreichen könnten, wenn sich die sportliche Lage ändert. Überträgt man das auf die aktuelle Situation, ergibt sich ein klares Bild: Sacramento ist schlecht gestartet und steht einmal mehr unter dem Vorwurf, die eigene Timeline nicht sauber definiert zu haben.
Die Kombination DeRozan/LaVine funktioniert nicht so, wie sich das Front Office erhofft hatte. Schröder ist inzwischen beim zehnten NBA-Team angekommen. Er weiß, wie schnell sich seine Rolle innerhalb weniger Monate komplett drehen kann. Wenn die Kings zur Trade Deadline tatsächlich einen größeren Schnitt machen, um sich neu auszurichten, gehört ein erfahrener Point Guard mit beweglichem Vertrag und Starter-Erfahrung automatisch in die Kategorie „möglicher Trade-Baustein“. Das heißt nicht, dass Schröder sicher geht, aber es wäre naiv, diese Möglichkeit zu ignorieren.
Genau dadurch bekommt die neue Rolle von der Bank eine doppelte Bedeutung. Für die Kings ist Schröder als starker Sixth Man genau das, was man im Idealfall wollte: jemand, der die Minuten ohne Westbrook strukturiert, das Pick-and-Roll mit Sabonis oder den Bigs der zweiten Reihe sauber läuft und dem Team eine Identität gibt, wenn die Stars sitzen.
Für Schröder ist es ein Schaufenster; sowohl intern als auch ligaweit. Gelingt es ihm, die zweite Unit zu stabilisieren, als Defensivnerv im Backcourt aufzutreten und in engen Spielen wieder als Closer zu funktionieren, stärkt er seinen Wert in Sacramento. Falls dort doch der Reset-Knopf gedrückt wird, erhöht er gleichzeitig seinen Marktwert für Playoff-Teams, die einen erfahrenen Guard für ihre Bank suchen.
Dass Schröder auf höchstem Niveau liefern kann, hat er in den letzten Jahren nicht mit NBA-Statlines, sondern mit Goldmedaillen bewiesen: Weltmeister 2023, Europameister 2025, jeweils als MVP. Das ist ein Statement, das man ihm nicht mehr nimmt. Was ihm in der NBA fehlt, ist weniger der Beweis des Talents als der Eindruck von Stabilität: ein Team, eine Rolle, über mehrere Jahre.
Die Ironie könnte sein, dass ausgerechnet eine vermeintliche Degradierung der Weg dorthin ist. Wenn Schröder in Sacramento die Bank wieder zu seinem Wohnzimmer macht, Spiele mit Energie kippt und das tut, was er in Atlanta und Oklahoma City schon einmal perfektioniert hat, kann diese Saison in zwei Richtungen gut ausgehen. Mit einer echten Renaissance im Kings-Trikot oder mit einem Wechsel zu einem Contender, der genau diesen Typ Guard für die heißen Minuten braucht.
Für den Moment aber gilt: Das Label „Bankspieler“ mag im ersten Reflex wie ein Rückschritt klingen. In Dennis Schröders Karriere war es oft der Punkt, an dem die Dinge für ihn erst so richtig angefangen haben.
